Sonntag, 2. März 2008

Woche 16 - Überlebenswoche oder so...

Sonntag Abend

Hastig kaufe ich mir am Basler Bahnhof noch vier Packete Marrocaine Extra und die Weltwoche. Heute wird nicht getrunken, ich muss fit sein für nächste Woche. Überlebenswoche...

Tag 1 - Montag Morgen

Um 5 Uhr stehe ich auf, nehme eine ausgedehnte letzte Dusche und ziehe mich an. Thermounterwäsche, Wollpullover und alles was man so braucht um 4 Tage warm zu haben. In der Küche mache ich mit meinem Lieblingssoldten extra Rührei mit Kräutern und versuche meine innere Ruhe zu finden. Es dauert nicht mehr lang dann ist es soweit.
Um 0700 ist es dann soweit. Der Kommandant befiehlt uns die Packung für die Überlebenswoche zu erstellen. Ab jetzt wird es lächerlich. Neben Unterwäsche für 4 Tage, müssen wir Necessaire, Frottetuch, Rasierer und noch vieles mehr einpacken, was mich mehr an einen Ausflug ins Grüne errinert als an eine Überlebenswoche.
Ein geschulter Blick auf den Verpflegungsplan dieser Woche verrät mir, dass es jeden Tag drei Mahlzeiten geben wird. Was wird das für eine Überlebenswoche? Ich packe trotzdem Kindercountry und viel Dörrobst ein. Ich melde mich beim Kommandanten.

"Oberleutnant, Soldat Savoca. Mini Packig isch erstellt, ich ben parat für de Abmarsch!"

Der Kommandant verzieht seine linke Augenbraue, schaut mir tief in die Augen und sagt dann in einem süffisanten Ton:

"Sie? Haha, sie sind Büroordonänzler Savoca, sie chömed doch ned mit ufd Überlebenswoche! Wartet sie eifach do im Büro, viellicht schlafed sie hüt zobig dusse."

Was? Das soll meine Überlebenswoche sein? Na gut, ich finde mich damit ab. Um 11 Uhr morgens ist unsere Kaserne leergeräumt. Einzig der Fourier und der Hauptfeldweibel sind noch bei uns im Büro. Nach der ersten DVD entscheiden wir uns für Schichtbetrieb im Büro. Das heisst 1 Stunde im Büro gamen, 3 Stunden frei.

Ich nutze meine ersten drei freien Stunden dazu in der Küche für Aufregung zu sorgen. Ich binde mir eine Schürze und eine Krawatte um. Danach führt mich mein Lieblingstruppenkoch in die grosse Welt der Battalionsküche 21-3 ein. Techno Musik, Gladiatorenkämpfe und die erste 110 Liter Bejamel Sauce die ich in meinem Leben gemacht habe. Geiles Gefühl, ich schwitze nach zwei Stunden Rühren mehr als in den letzten zehn Wochen meiner RS...

Nach dem Nachtessen habe ich nochmals eine Schicht im Büro die ich mit dem Game "Tropico" ausfülle. Amüsant, knackig schwierig, genau das richtige für im Büro! Danach habe ich für dne Rest des Tages frei und gibt es eine kleine Pokerrunde im Keller der Kantine. Zu zwölft sitzen wir im verrauchten Raum und bluffen bis der Arzt kommt.

Tag 2 - Dienstag überleben sie auch!

Um etwa 8 Uhr strahlt die Sonne in unser Zimmer, es wird hell und ich wache auf. Noch kein Schwein ist wach und ich gehe erst mal duschen. Danach gibt es ein Thon Sandwich und einen Kaffee in der Soldatenstube. Verdammt anstrengende Überlebenswoche!

Am Dienstag Abend ist für die Truppenköche grosser Ausgang. Mein Lieblingssoldat verspielt sich den Ausgang weil er einen Grabstein zu wenig und eine Zigarette zu viel im Mund hatte. Er bleibt bei mir, muss seine Packung erstellen (mit Schlafsack jaaa!) und muss mit uns raus aufs Feld schlafen gehen. Na gut was ist schon auf dem Feld? Um 21.00 Uhr werden wir ins Simulationsdorf gefahren. Wir fühlen uns schon richtig wie kleine Kriegsveteranen schleichen uns an und pirschen aufs Klo. Jetzt werden wir in einem leerstehenden Haus einquartiert. Endlich kann ich mein Dörrobst und die Schokolade auspacken! Wir legen uns hin und um elf Uhr Abends ist dann auch endlich Ruhe im Karton.

Die Kälte, das Schnarcheln, der Wind... all diese Geräusche halten mich wach. Ich drücke mir Oropax rein und dann schlafe auch ich...

Nur wenige Stunden vorher sind die Truppenköche im kleinen, verschlafenen Örtchen Porrontruy angekommen. Mit dabei zwei Wachmeister die ihren letzten WK bestreiten und das letzte Mal Ausgang im Militär haben. Demenstprechen ist die Runde heiter, es wird gebechert und gegessen was das Zeug hält. Ein Wachmeister kommt auf die grandiose Idee SBB Paletten inklusive Rahmen auf die Strasse zu stellen und eine Strassensperre zu errichten.
Vielleicht muss ich noch anfügen dass wir uns im Kanton Jura befinden. In dem Kanton wo die Menschen nur eines mehr hassen als Deutschschweizer: Das Militär...

Es geht ca. 34 Sekunden bis ein durchgeknallter Jurassier mit gezückter Pistole auf die Jungs zuläuft und ihnen eine Million Fluchworte pro Sekunde an den Kopf wirft. Unsere tollkühnen Vollidioten verfahren gemäss dem Prinzip Anita Weyermann:

"Gring abe u seckle!"

Kreidebleich kommen unsere hirnverbrannten Jungs wieder zurück zur Kaserne. Nur zwei hatten noch nicht genug... Die beiden WK Wachmeister... Sie füllen ihre Rucksäcke mit Bier, laufen rüber zum Wachtposten und stolzieren mit erhobenem Haupt zu den Soldaten die gerade Wache schieben.

"Mini Herre, ich han der Uftrag vom Oberstleutnant im Generalstab becho, en Nachtüebig mit de Truppechöch wohr z neh. Ich bruche sofort es Puch wo mich is Simulationsdorf fahrt!"

Keine Widerrede, die beiden besoffenen Wachtmeister werden schnurstracks zu uns gefahren. Planlos irren sie im Dorf rum, werden zig mal von Wachtposten aufgehalten:

"Halt oder ich schüsse!"

"Hehe, Friede Friede, mir sind vo de Chuchi und sueched d Truppechöch. Mer händ en Nachtüebig...hehehe"

Bis sie uns gefunden haben ist es etwas nach 1 Uhr Nachts... mit der MAG Lite bewaffnet stürmen sie in unser Haus und wecken uns. Bier für alle ! - Keine zwei Minuten später wirft unser Gruppenführer die beiden WK Wachmeister aus dem Haus.

Sie machen sich auf den Weg zurück zur Kaserne (6km...) immer noch bewaffnet mit einem Rucksack voller Bier. Plötzlich sehen sie in der Ferne ein Puch auf sie zu kommen. Ratlos springen die beiden Trunkenbolde in den Graben. Der Puch hält genau vor Ihnen zwei mit Restlichtverstärkern (Nachtsichtgeräte) ausgestattete Berufsmilitär bringen die beiden nach Hause und knöpfen Ihnen das Bier ab. Das ist doch eine letzte Nacht im Militär wie es sich gehört...


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Mittwoch und Donnerstag verbringen wir im gleichen Turnus wieder im Büro bei DVDs und Tropico. Ich gehe ab und zu wieder in die Küche, schneide Salat oder mache Sandwiches für uns. Das ganze artet in einer dermassen langweiligen Aktion aus, das die Truppe langsam aggresiv wird. Wir haben einfach zu viel Energie und zu wenig Arbeit. Immer mehr Schlägereien in den Zimmer. Aggresive Reaktionen auch gegen höheres Kader stimmt mich schlussendlich zu einer Entscheidung:

Der 50km Marsch

Donnerstag Abend entscheiden wir uns - wir werden ihn laufen, koste es was es wolle. Wir melden uns freiwillig für den Marsch - werden der Stabskompanie zugeteilt und haben KEINE Ahnung was auf uns zu kommt...

Freitag Morgen

Früh hüpfe ich unter die Dusche, pudere meine Füsse, trage Blasenpflaster auf, ziehe mir Frauensöckchen an. Zu guter letzt - wie mir empfohlen wurde - einen halben Tag lang getragene Wollsocken.

Wir - ein paar völlig desorientierte, unsportliche Truppenköche, Betriebssoldaten und Büroordonanzen - stehen um halb 11 Uhr bei der Stabskompanie bereit. Wir müssen uns im vorderstsen Glied einordnen, ein 25kg schweres Funkgerät wird mir aufgebürdet. Ich ahne dunkles... Wir marschieren vor die Halle, wo uns der Oberstleutnant alles Gute für den Marsch wünscht. Dann ziehen wir los. Die ersten Kilometer sind zwar anstrengend aber eigentlich ein Klacks. Wir scherzen noch, verteilen Asthma Spray und Kaugummis... Es geht bergab, alles läuft rund und wir freuen uns eigentlich noch. Ich gebe den Funk dem Nächsten, 8 freiwillige Soldaten sind wir. Wir freiwilligen haben die Aufgabe den Funk zu tragen. Langsam wirds eng in der Lunge. Nach 5km in Eilmarschgeschwindigkeit habe ich mein erstes Tief. Es geht bergauf, ich habe meine Kräfte falsch eingeteilt. Zu viel geredet, zu wenig geatmet. Jetzt büsse ich dafür. Schwarz wird mir vor Augen, sehe nur noch Umrisse, da geht nichts mehr. Der Leutnant packt mich am Rucksack, zieht mich bis ganz an die Spitze der Kompanie und befiehlt mir auf den Rucksack des Sergeants (der französische Wachmeister) zu schauen und mein Schritttempo zu halten. Es geht wieder besser, ich bekomme wieder Luft, dafür ist jetzt ein Schmerz in meiner Hüfte da. Egal.

Erster Halt nach knappen 10km. Wir laufen an eine Fassstrasse heran, füllen unsere Feldflaschen mit Wasser und unsere Taschen mit Früchten. Es reicht knapp um eine Zigarette zu rauchen. Ein Fehler wie sich bald herausstellt. Meine Luft ist begrenzt, die Schmerzen nicht. Wir laufen weiter und weiter, es scheint kein Ende zu nehmen. Der Rücken, die Brust, die Füsse, die Beine, die Hüfte, die Knie, einfach alles schmerzt. Egal.

Wir kommen an die Mittagspause heran. Im grössten Schlamm sitzen wir hin, schlingen unsere kalten Teigwaren mit gefrorenem Käse runter, spülen kräftig mit Tee runter. Es reicht für eine Zigarette, danach gehts weiter. Unsere Kräfte sind längst erschöpft, die Schmerzen grösser als die Lust weiter zu laufen. Egal.

"DUREBIIIIISSE SAVOCA!"

Ich muss beissen. So geht das nicht, ich gebe nicht auf, nicht sowenig vor dem Ziel. Vor mir liegen noch etwa 8km als meine Hüfte mir Tränen in die Augen schiessen lässt. Ich lache und weine zugleich. Ich falle zurück. Der Leutnant will mich noch mit ziehen. Aber es geht nichts mehr. Zu gross sind die Schmerzen. Ich will aufgeben. Ich will in die Krankenstation. Ich will nach Hause.

"DUUUUUREEEEEBIIIIISSSEEEE SAAAAAVOOOOOCAA!"

Sage ich mir selber, rufe es in den Wind.

Ich bin zurückgefallen. Der letze der ganzen Kompanie. Vor mir liegt ein Berg voller Schlamm, etwa 500 Meter die zu bewältigen sind. Ich sehe keine anderen Soldaten mehr. Nur noch ich und der Leutnant. Rauchend läuft er neben mir her und versucht mich zu motivieren. Ich gebe nicht auf - jeder Schritt im Matsch reisst mir in Gedanken die Beine ab. Der Leutnant will meinen Rucksack tragen. Ich verneine... ich zieh das durch. Ich kann das. Ich schaffe das. Und wenn ich als letzter Mann ins Ziel komme. Ich schaffe das.

Nach dem Hügel wartet die Kompanie auf mich. Der Major fragt:

"Gots bi ine Savoca?"

"Zur Höll"

Ist meine Antwort, laufe an ihm vorbei und fülle meine Feldflasche ein letztes Mal auf. Es liegen nur noch 5km vor uns. Ich schmeisse mir mit meinem Lieblingssoldaten noch ein Koffeinbonbon ein, drücke die Augen zu, beiss mir auf die Zähne und wir marschieren weiter...

Als wir im Ziel ankommen pfeift der Kommandant die Freiwilligen in die MItte der Kompanie. Er gratuliert, die Kompanie klatscht für uns. Ich fühle mich stolz. Ich habe den Marsch hinter mir. Wir stellen uns in einer 8er Kolonne auf, und müssen trotz übelsten Schmerzen im ganzen Körper am Oberstleutnant vorbeilaufen und einen guten Eindruck machen.

Das Detachement der Freiwilligen setzt sich nun hin, raucht eine Zigarette und läuft danach klagend und schmerzend in die Küche. Der Hauptmann steht in der Küche und will uns davon scheuchen, wir seien dreckig und mit der Waffe kommen wir hier sowieso nicht rein. Keines Blickes würdigen wir diesen Saubermann, sitze hin und fangen an zu essen. Er sowie unser Fourier drehen vollkommen durch, schreien uns an. Wir lächeln zufrieden und essen weiter. Der Fourier befiehlt mir mit der Stabskompanie unsere Kleider putzen zu gehen. Ich schaue ihn an, überlege kurz und sage ihm in ruhigen aber sicheren Ton:

"S erst und au s letscht mol das ich das mache Fourier, aber hüt verweigere ich de Befehl."

esse weiter, und würdige ihn keines Blickes mehr. Wütend schnaubt er davon. Keine 5 Minuten später steht er mit dem Leutnant vor uns. Es sei jetzt die erste Verwarnung, wir müssen jetzt unsere Schuhe und Gewehre mit der Stabskompanie putzen gehen. Wir essen fertig, stehen auf, schauen den Fourier und den Leutnant an:

"Wenn mir nach 16 Woche nonig wössed wie mer duet Schueh putze, den lehre mer das doch jetzt au no, oder?"

Also stehen wir auf und putzen unter Schmerzen unsere 7 Sachen. Der Leutnant hat schnell kapiert das wir nicht eine normale Truppe sind. Nach der Hälfte der Putz Aktion gibt er auf. Schickt uns ins Bett oder wenn wir noch laufen können auf ein Bier in die Soldaten Stube. Wir alle wählen das Bett...

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